ZU SINNLICHKEIT, PRAGMATISMUS UND REALITÄT

Seit ich politisch denken kann warte ich auf eine Entwicklung. Seit 25 Jahren sehe ich nur Stagnation und wenn eine Entwicklung festzustellen ist, dann in eine bestimmte Richtung, in eine materialistisch orientierte; Merkantilismus spielt eine dominante Rolle, der tägliche Konsum und Kommerz eilen von Superlativ zu Superlativ.

Dem gegenüber stehe ich für eine Auffassung, die ich pragmatische Sinnlichkeit, sinnlichen Pragmatismus oder kompakter sinnlich, pragmatische Realität bezeichne.

Es geht nicht mehr nur darum, einen gut ausgebauten Weg mit noch einem raffinierteren Belag und

Asphalt zu überziehen, um möglicherweise noch höhere Effizienz zu erzielen oder ähnliches. Bei all dieser Dynamik fällt es zugegebenermaßen schwer neue Wege zu finden und zu erdenken: Der Spielraum beschränkt sich auf Gegebenes.

Wir brauchen eine Kunst und eine Kulturarbeit, die nicht mehr nur den Zweck erfüllt auszuschmücken, eben solchen Vorgaben lediglich Genüge zu leisten. Ich identifiziere mich mit einer Auffassung von Kunst und Kulturarbeit, die derartige Normen aufkündigt und in gewisser Hinsicht solchen Regelungen gegenüber nicht mehr tolerant ist, die auch die Politik in die Pflicht nimmt. - Ich gehe einer Kunst nach und interessiere mich für Aktivitäten, die sich einmischen in Prozesse oder Prozesse in Gang bringen wollen, für Anstrengung und Leistung, die nicht mehr im Abseits stehen wollen, eine Kunst, die nicht mehr nur nachgiebig sein will und gefügig und gerade so paßt in eine gesellschaftliche Nische, und vielleicht sogar politische Nische, so weit es in der Vergangenheit überhaupt zu solcher Annäherung kam.

Daneben liebe ich unsere Landschaft, ich liebe die Geschichte, ich liebe Mythen, alles Mythologische, die Vielfalt von Kulturen. All diese Komponenten versprechen ein viel, viel reicheres und angenehmeres Leben als bloßer Materialismus, Konsum und Kommerz. Ich liebe die Geschichte in all ihren Facetten, als der logische Beweis unserer Gegenwart. Nichts läßt uns die Gegenwart, in der wir uns gerade aufhalten, deutlicher erkennen, als das Studium der Geschichte, zu erkennen, welche Abfolge von Entscheidungen, Fehlentscheidungen, Intrigen, Eifersüchteleien, aber auch honorigen, großen und wohlwollenden Taten uns zwangsläufig in die nun vorzufindende Situation gebracht haben.

Und ich liebe unsere Erde wegen ihrer skulpturähnlichen Oberfläche, ein überdimensioniertes Relief. An allen Punkten des Festlandes, egal wo man hinkommt, kann man diese Entwicklung, diese Abfolge erspüren und nacherleben. Schon beinahe jeder Flecken der Erde ist gezeichnet von dieser Geschichte. Es gibt Zeichen von dieser Geschichte, es gibt Zeichen von diesen Aktivitäten, es gibt Zeichen von manch katastrophaler Entscheidung, und es gibt Zeichen und Dokumente auf der Oberfläche unserer Erde von intensivem Arbeitsaufwand von Generationen, über Jahrhunderte, über Jahrtausende disziplinierter Arbeit, an den unwirtlichsten und unzugänglichsten Stellen der Erde.

Und ich liebe diese völlig unterschiedlichen Charaktere von Menschen in den verschiedenen Regionen, diese unterschiedliche Mentalität trotz desselben Glaubens oft, diese Vielfalt von Sprachen und Dialekten, diesen Reichtum an Ausdrucksformen. Generationen von Menschen formten so Stil und Identität, in mühevoller Hand- und Körperarbeit mit schier grenzenloser Ausdauer und von Generation zu Generation sozusagen mit dem Auftrag versehen, an demselben Ziel weiter zu arbeiten, angetrieben von einer unglaublichen Opferbereitschaft und Konsequenz verbunden mit einer heute unvorstellbaren Bescheidenheit, einer Schlichtheit im Lebenswandel, einer Schlichtheit im Tun, einer Schlichtheit in allen Unternehmungen.

Im Grunde machen wir doch heute nichts anderes als vorhandene Strukturen zu perfektionieren, aber das ist bedauerlicherweise nur Entwicklung in einem eingeschränktem Spielraum. Mit Innovation hat das nichts zu tun und das was uns als solche verkauft wird ist nichts anderes als eine Schraube anzuziehen, nur immer fester und fester. Und die eine oder andere Schraube ist schlicht schon überzogen, also einfach ,,abgedreht", ohne Funktion. Vergessen wir bei allen Überlegungen nicht, auch menschliche Qualitäten, unseren Geist und unsere Vorstellungskraft zu schulen und zu entwickeln. Erst Kreativität in diese Bahnen wird unseren Spielraum vergrößern.

Nicht wenige aktuelle Zustände und Ereignisse mahnen nicht nur eine Kurskorrektur anzustreben, sondern diese schleunigst vorzunehmen. - Doch woher soll nun ein Impuls kommen, wie formuliert sich eine Vorstellung und wie verdichtet sich eine Idee? Zu einem Konzept, zu einem ersten Schritt, zu einer Tat? Wie verschaffen wir uns einen Überblick über die Gesamtsituation, wie schaffen wir es, unser Interesse einmal abzuwenden von all den "unendlich wichtigen" Dingen, Ereignissen und ,,Notwendigkeiten" des Alltags, um einmal nicht in der Falle eigener Neigungen zu landen? Wenn das ,,Ach-so-wichtige" wegfällt haben wir den Blick frei, können eine Vorstellung davon entwickeln, welch kontinuierliche und endlose Anstrengungen es brauchte, die Menschheit an diesen eigentlich vorzüglichen Punkt zu bringen. Wir sollten alles das nicht leichtfertig aufs Spiel setzten. Wir sollten lernen, verstehen und verinnerlichen, was unsere Alten hier geleistet haben, bei mitunter ungünstigsten Bedingungen. Wir sollten mit größtem Respekt diese Sicht pflegen.

Die Zeit ist noch nicht so fern, als man hier in unserer Heimat noch einen anderen Lebensstil pflegte.

Viele dieser Eigenheiten hinterlassen bis heute einen unverwechselbaren Geschmack. Schlichtheit konnte auch Reichtum bedeuten und über Schlichtheit können eine Reihe menschlicher Qualitäten entstehen. Schlichtheit provoziert durchaus Impulse in eine überraschende Richtung, für die wir im "wichtigen" Alltag keinen Sinn entwickeln. - ,,Probleme sind Gelegenheiten zu zeigen, was man kann" ( Duke Ellington). - Mit dem Bayerischen Wald haben wir noch akzeptable Voraussetzungen zu einer selbstgewählten Schlichtheit zurückzukehren und zu erkennen, daß man für erfolgreiche Schritte in Neuland lediglich gewohnte Bahnen und bisherige Selbstverständlichkeiten aufzugeben braucht.

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